Lämmels Syndrom von Mark Uriona

Kurzmeinung: Sehr vielschichtiges Buch der Geschichte in der Geschichte in der Geschichte - wahrhaftig fünfdimensional und intellektuell anregend!
Was ist die Grenze zwischen Realität und Fiktion?
Dies ist ein Buch, das wahrscheinlich polarisieren wird und zwar, weil voraussichtlich fast jeder sie anders zu deuten weiß. Die Geschichte ist sehr komplex und bewegt sich auf mehreren Ebenen. Sie ist wahrhaft mehrdimensional. Fünf Dimensionen! Es ist fast unmöglich, eine Inhaltsbeschreibung wiederzugeben, weil es kein gewöhnliches oder linear erzähltes Buch im herkömmlichen Sinne ist.
Die Geschichte beginnt damit, dass Arno Lämmel, Topverkäufer im Außendienst, sich beim Gedanken ekelt, was alles hinter diesem Loch und der Fußleiste liegen könnte. Er will diese entfernen und gründlich reinigen. Dann bekommt er allerdings einen wütenden Anruf eines gewissen Dom Alfonso, der ihn in portugiesisch wüst beschimpft und behauptet, dass eben dort sein Wohnort sei und er von den Krümeln lebe.
Sonderlich zu wundern scheint sich Lämmel nicht, hat er doch auch die Fähigkeit röntgenblickmäßig die Nacktheit aller Menschen zu erblicken. Eine Analogie, dass er Menschen leicht durchschauen kann? 
Dom Alfonso und Lämmel wollen einen Waffenstillstand und einen Vertrag schließen. Lämmel schlägt vor, Geschichten zu erzählen und der Kontrahent solle einschätzen,,ob sie wahr oder vice versa sei. Sollte er danebenliegen, muss er für immer gehen und im gegenteiligen Fall darf er krümelsicher für immer bleiben.
Ab jetzt nimmt Mark Uriona den Leser auf einen wilden Ritt  ( nicht über den Bodensee! ) mit. Das Mosambik der 80er Jahre, Palästina, das Berlin der Gegenwart als vermeintlich realer Gegenpol? Sozialismus, Kolonialismus, der durch den modernen Sklavenmarkt des entfesselten Kapitalismus der gnadenlosen Globalisierung ersetzt wurde, ein Herr durch 100 neue. Philosophie, Ausflüge in die Geschichte Preußens und der Berliner Zeitgeschichte, arabische Philosophie, philosophische Rätsel, das Wesen der Wahrheit und Realität, mythologische Anklänge, Gregor Samsa und sogar Marcel Proust und thronend über den Insekten, Kafka. 
Das Geschichtenerzählen weckt Reminiszenzen an 1001 Nacht. In gewisser Weise hängt Lämmels Leben "im übertragenen Sinne"? davon ab. Er ist ein hochintelligenter Mann, der teilweise Bizarres wie Alice im Wunderland erlebt. Der Leser kann sich nie sicher sein, was in diesem Buch die Wahrheit Lämmels und seine eigenen Fiktionen sind. Was ist substantiell oder irreal? Wie fragil sind vermeintliche Gewissheiten? Wie schnell werden jene zertrümmert? 
Welche Entität ist Dom Alfonso? Pures Hirngespinst eines Psychotikers, eine zu rege Phantasie, sein zum Leben erwachtes Alter Ego? Oder gar tatsächlich real? Das Großartige an diesem Buch ist, dass der Autor bewußt Leerstellen läßt. Viele Fragen bleiben unbeantwortet und dem Leser bleibt wohltuender Interpretationsspielraum. So kann man seine eigenen Schlüsse ziehen und bekommt ordentlich vitaminreiches Futter für das Nachdenken.
Das Mysterium bleibt am Ende so geheimnisvoll wie das Leben an sich es ist oder gibt es doch eventuell einen zufriedenstellenden Konsens für das Gros der Leser/innen? Wer weiß? Lesen, lesen, lesen! Es lohnt sich in der Tat!

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