Andromache / Hektor

ANDROMACHE

Sie wiegt den Kleinen in ihren Armen
Vor nicht einmal einem Jahr
War er geborgen in ihrem Leib
Vor allen Unbilden des Lebens
In ihren Gemächern umweht sie
Ein verständnisinniger Wind
Der sanft ihre braunen Locken kräuselt
Sie kann von dort aufs Meer blicken
Und ihre Gedanken fern entrücken
Wie sie ihren Mann vermisste ....
Sie strich über die Fältelung ihres Gewandes, das zart
Ihren Körper umhüllte
Die Brise vereinigte sich mit jenem Stoff
Die Elemente kannten das Alleinsein nicht
Sie staunte über das lebende Wesen
In ihren Armen
Autark und doch so schutzlos
Instinktiv barg sie ihn tiefer an ihren Busen
Möge nur kein Krieg über sie alle kommen
Sie vernahm nichts Gutes über die
Expansionsgier der Griechen
Die Männer kannten nur die Macht
Dieses Untier säugten sie an ihrer Brust
Wenn die nur Kinder bekommen könnten
O schöner Wunschtraum!
Ihr Mann war da ganz anders
Dafür liebte sie ihn
Kein Aggressor, sondern nur Verteidiger
Seiner Frau, seines Kindes und Trojas
Wenn aber der Krieg käme ....
Sie wollte ihren Sohn und auch
Zukünftige Kinder großwerden sehen
Mit Hektor gemeinsam alt werden
Kurz durchfuhr ein Schauer ihr Herz
Und wie eine Echse
Kroch die Angst in ihr hoch
Aber sie verging, als der
Kleine anfing zu weinen
Und sie ihn voller
Inbrunst tröstete.
Nicht lange danach
Schallte der Ruf
Zu ihr herauf:
"Hektor und Paris
Sind zurück!"
Und die Sorge
Fiel von ihr ab
Wie eine Zwiebelschale
Die Engel der Nacht

HEKTOR

Wieso mußte Paris das nur tun?
Der Krieg dräute
Ihm war nicht zu entrinnen
Er blickte auf das
Mondlichtdurchwirkte Meer
Sein Herz verklumpte
Als er seine schlafende
Frau und seinen schlummernden
Sohn betrachtete
Sterben wollte er gewiß nicht
Er würde so gerne seinen
Sohn zum Manne reifen sehen
Er hatte aber die Befürchtung
Daß die beiden umkommen könnten
Das brachte ihn um die Ruhe
Und letztendlich noch um seinen Verstand
Oder seine Frau
Als Sklavin
In griechischen Händen
- Beide sahen so vollkommen aus
In ihrem morpheuischen Zustand
Wieso hatte er das Gefühl
Daß sie ihm allmählich entglitten
Obwohl der Krieg noch gar nicht eingetroffen war
Er war zornig auf Paris
Und verständnisvoll zugleich
Hatte er selbst nicht
Das Wunder der Liebe erfahren
Um es Paris nicht madig machen zu dürfen
Nein, bei aller Liebe nicht
Der Preis war zu hoch
Um ihrer aller Leben zu gefährden
Er fürchtete den Kampf nicht -
Ja, nicht einmal den Tod
Aber er schuldete es seiner Familie
Am Leben zu bleiben.
Nie wieder kämen die Elysischen
Momente zurück, die ihnen
Beiden lange vergönnt waren
Ja, die Götter waren doch neidisch
Und säten Zwietracht in des
Menschen Herz
Nur um ihren Frieden
Und ihr Glück zu zerstören
Und sich im Anblick
Der toten Leiber zu erfreuen
Ares ruhte auf den Häuten von
Hingemetztelten Männern
Seufzend drehte Hektor sich um
Und schmiegte sich müde an Andromache.

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